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  Interview mit Klaus Schulze  



"Das fand ich gut"

March 1993

F: Die 1980 erschienene LP Dig It war eine Art Abgesang auf die Analogsynthesizer. Death of an Analogue war der erste Titel auf dieser Platte und brachte Deine Einschätzung angesichts der begeisternden Möglichkeiten der damals noch jungen Digitaltechnik zum Ausdruck. Heute, dreizehn Jahre später, erfreuen sich analoge Instrumente im Gebrauchthandel einer so regen Nachfrage, daß die Idee auftauchen könnte, inzwischen sei es die Digitaltechnik, die sich überlebt habe. Wie beurteilst Du die aktuelle Situation?

KS: Die Digitaltechnik wird nicht sterben, das ist völlig klar. Die analogen Instrumente haben einem Komponisten doch gewisse Grenzen gesetzt. Sounds wie Chöre zum Beispiel, die konnten wir zwar mit dem Mellotron machen, da war man aber auf acht Sekunden beschränkt. Deshalb habe ich mir damals für meine langen Akkorde so ein Ding bauen lassen mit zwei Manualen und einem Schwellpedal. Damit konnte ich kurz bevor die Loop zu Ende war auf die jeweils andere Seite überblenden und so den Chor beliebig verlängern.
Anfang der achtziger Jahre gab es so einen Nullpunkt, den Eindruck, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben mit den analog erzeugten Sequenzen und Sounds. Die Digitaltechnik kam bei mir mit dem Crumar G.D.S. Musikcomputer. Trotz digitaler Oszillatoren klang er irgendwie auch analog. Zu solchen Sachen kommt man jetzt wieder hin nach all den Sampleplayern, wo man kaum mehr Möglichkeiten hatte, als ein paar Sounds übereinanderzulegen. Das ist ja keine wirkliche Klangveränderung.

F: Hatte der G.D.S. nicht auch analoge Drehregler?

KS: Ja, du hattest 32 Schieberegler und zwölf Drehknöpfe. Dann gab es so eine Schablone, mit der Beschriftung zum Editieren auf der einen Seite und fürs Performprogramm auf der anderen. Der G.D.S. besaß auch ein eingebautes Mischpult. Mich hat natürlich der fette Sound beeindruckt... 64 Oszillatoren und unglaublich steilflankige Filter. Das war schon ein Wahnsinnsschritt nach vorne. Dann ging die Entwicklung weiter, die aber im wesentlichen eine quantitative war, das heißt, die Sachen wurden kleiner, mit mehr Effekten drin...

F: ... und billiger!

KS: Da sind wir jetzt an einem Punkt angelangt, wo die Gefahr besteht, daß die elektronische Musik zu Tode geritten wird, weil mit diesen ganzen Presets und Computerprogrammen alles so einfach geworden ist, daß jeder irgend etwas machen kann. Und jeder meint auch gleich, eine CD herausbringen zu müssen. Wenn er keine Firma findet, dann macht er halt ein Independentlabel auf. Ich meine, du spielst heute einfach irgend etwas in den Computer und wenn das nicht so richtig stimmt, quantisierst du alles auf Sechzehntel. Wenn es dann noch nicht reicht, gehst du halt auf eine Achtelnote. Immerhin, es klingt irgendwie richtig, aber da bist du schon bald beim Marsch. Jetzt ist also irgendwo so eine Sättigung erreicht. Andererseits haben wir - ich rede jetzt von meiner Generation, KRAFTWERK oder TANGERINE DREAM - die technische Entwicklung gewollt. Es war zwar eine schöne Zeit mit dem alten Equipment, aber vieles ging eben nicht perfekt genug. Du hast ja so richtig instabile Oszillatoren gehabt, die sich beim geringsten Temperaturunterschied verstimmt haben. Aber das hat auch viel zum Charakter der Instrumente beigetragen. Zum Beispiel die Schwebungen, die es beim Moog gab. Die waren natürlich eine Viertelstunde später wieder anders. Dasselbe mit den Filtern. Deshalb war wirklich jeder Ton auch einzigartig. Heute geht es im Grunde genommen darum, die Dinge zu kombinieren. In diesem Zusammenhang gibt es noch eine andere Geschichte: Zuerst habe ich Schlagzeug gespielt. Dann haßte ich dieses Instrument. Später habe ich doch wieder angefangen, damit zu spielen und rhythmisch zu arbeiten. Heute spiele ich meine Rhythmen auf den Pads ein. Das heißt jetzt nicht, daß für mich das Nichtrhythmische tot ist, sondern daß ich verstanden habe, worum es mir eigentlich geht und wie ich die verschiedenen Aspekte zusammenbringen kann. Und genauso ist es auch mit der Klangerzeugung. Es geht nicht darum, analog durch digital zu ersetzen oder umgekehrt, sondern einen Zusammenklang zu schaffen. Ich midifiziere jetzt zum Beispiel meinen alten ARP. Das ist, wie gesagt, nicht der Tod der Digitaltechnik, sondern eine Synthese in dem Sinne, daß jetzt durch neue Möglichkeiten der Kommunikation alte Dinge wieder eingesetzt werden können. Das ist allerdings hauptsächlich das Verdienst von Einzelbastlern in ganz kleinen Firmen. Es gab zwar auch von einer großen Firma für kurze Zeit ein gutes MIDI-CV-Interface, das haben die aber schnell wieder fallen lassen. Vielleicht dachten sie, daß damit noch zu viele Leute alte Synthesizer benutzen würden.

F: Welche Rolle spielt für dich die Samplingtechnik?

KS: Bei meinen letzten Konzerten hatte ich mehrere S-1000-Sampler dabei, hauptsächlich mit eigenen Sounds. Auch wenn die dadurch sozusagen eingefroren werden, brauche ich Sampling nicht zu verteufeln. Der Punkt ist, daß ich eigenes Material nehme, teilweise ganze Intros, und da ist meine eigene Kreativität drin.

F: Wie findest Du die neuen Akai-Sampler?

KS: Ich habe mir den S-3200 auf der Messe vorführen lassen. Der hat wohl bessere Filter, als der alte S-1000, und man kommt an die Resonanz ran. Außerdem gibt es ganz gute Modulationsmöglichkeiten...

F: Gibt es andere Neuheiten, die dich beeindruckt haben?

KS: Ein ganz poppiges Teil, Midivox. Da kriegst du so ein Halsband um mit kleinen Kontaktmikrofonen. Die sind an einen 19"-Kasten angeschlossen, so einen Transformer. Dann singst du, aber es klingt nach Baß, Gitarre oder was du sonst einstellst. Dann natürlich der E-IIIXP, der neue Sampler von E-MU... da bin ich ja nun wirklich platt. Auch der Kurzweil K-2000 interessiert mich. Der soll ja jetzt mit seinen 64 Megabyte wirklich laufen und auch Samples verschiedener anderer Formate laden können. Das war letztes Jahr für mich der totale Flash, als das alles vorgestellt wurde.

F: Wie ist es mit Harddiskrecordingsystemen?

KS: Da gibt es für mich noch ein Problem, weil ich so lange Stücke mache. Also, wenn die stolz sind auf acht Spuren und ich frage, wie lange die denn nun laufen und ich höre, "ja, so vier, fünf Minuten", dann kann ich es gleich vergessen. Da interessiert mich der neue Digitalrecorder von Tascam schon mehr. Der bietet rund hundert Minuten mit acht Spuren, damit komme ich dann auch klar. Da kann ich meine ganze Oper auf einem Band machen. Bei Sequencer-Software ist es ähnlich. Da brauche ich möglichst viele Takte. Mit dem Notator Logic komme ich jetzt auf fast 2000. Allerdings sind für mich auch die Möglichkeiten zur Filmsynchronisation sehr wichtig.

F: Welche technische Entwicklung wünschst Du dir noch für die Zukunft?

KS: Also, ich würde mir erstmal einen Computer wünschen, der auf Sprache reagiert und auch aufnehmen kann. Ich würde sagen: "Nimm jetzt auf!" Dann könnte ich wirklich total live die Musik einspielen und bräuchte mich um nichts anderes zu kümmern. Gut wäre auch ein Computer, der Musik und Video oder was du sonst noch willst, perfekt synchron und professionell zusammenbringt und alle Möglichkeiten offenhält, das eine wie das andere zu verändern. Da wird ja schon dran gearbeitet.

F: Du hast vorhin eine Oper erwähnt. Stimmt es, daß Du auch an einer Sinfonie arbeitest?

KS: An einer sinfonischen Dichtung. Die ist schon fertig. Die Oper ist auch komponiert. Ich muß nur noch den Gesang aufnehmen.

F: Nach allem, was Du vorher gesagt hast, ist das aber wohl nicht so zu verstehen, daß Du dich jetzt von der elektronischen Klangsynthese abgewandt hast?

KS: Nein, ich mache mit der Elektronik Opern und Sinfonien...

F: Aber auch mit traditionellen Instrumenten?

KS: Wenn es sein muß, ja. Es ist immer erstmal Streß. Das erste, was du lernst, wenn du in die klassische Szene kommst, ist, daß die Musiker nicht improvisieren können. In diese Problematik kommst du automatisch rein, wenn du eine Oper machst. Opernsänger kannst du ja auch nicht einfach irgendwo anders herholen. Der übliche Betrieb erlaubt ihnen nicht, ihre Stärken frei zu entfalten. Im Grunde haben viele im Laufe ihres Studiums nicht gelernt, eigene Ideen zu entwickeln. Und jetzt willst du diesen Leuten ermöglichen, was sie eigentlich fordern, nämlich mal freier zu arbeiten, da fängt plötzlich der Horror an und ich bekomme zu hören: "Frei entfalten..., ich weiß nicht ... was ist denn das?" Nehmen wir jetzt als Beispiel auch mal die Geige... Es ist ja so, daß ich eigentlich nicht dafür schreiben kann, wenn ich das Instrument nicht selbst spiele. Ein Geiger denkt eine Melodie einfach anders. Wenn er der Meinung wäre, er sollte sie so spielen, wie ich auf dem Keyboard, dann spiele ich sie doch lieber gleich selber. Ich hatte jetzt ein langes Gespräch mit Gidon Kremer, den kenne ich schon seit zwanzig Jahren. Aber der sagt mir auch: "Klaus, ich spiele gerne für dich, aber bitte schreibe mir alle Noten auf." Ich habe ihm jetzt die ganzen Noten für den Violinpart der Oper gegeben, habe aber dazu geschrieben, es bitte mehr oder weniger "ad lib." zu interpretieren. Ich suche eben Leute, die frei mit meinen Vorgaben umgehen können. Wenn sie verstanden haben, worauf ich hinaus will, sollen sie es auf ihre Weise machen. Zum Glück habe ich jetzt fast ein Team zusammen, wo das klappt. Ich versuche im Augenblick, auch eine Verbindung mit Nigel Kennedy aufzubauen. Ideal war ja die Zusammenarbeit mit dem Cellisten Wolfgang Tiepold, der nebenbei auch Jazz gemacht hat. Ich konnte ihm ein Stück vorspielen, erklären, worum es ging, und er hat zum Beispiel drei Versionen dazugemacht, wovon wir später die beste ausgewählt haben. In der Popmusik bei den Studiomusikern ist diese Arbeitsweise ja gang und gäbe. Gehst du aber einen Schritt weiter zur Klassik, können viele Musiker nicht mehr anbieten, sondern kleben haargenau an den Noten. Da gibt es kein "jain" oder "vielleicht" oder "versuch's doch mal anders". Nein, da ist einfach nur ein Punkt.

F: Dann würdest Du wohl HOLGER CZUKAY beipflichten, der einmal gesagt hat, daß die traditionelle Notation im Grunde genommen ein Kreativitätshemmnis ist?

KS: Ja. Abgesehen davon würde ich sowieso allem zustimmen, was Holger sagt. Der hat überall recht. Ich kenne ihn schon aus alten Can-Zeiten. Es stimmt aber auch wirklich. Es gibt soviel in der Musik, was sich nicht mit Noten fixieren läßt, besonders der Klang. Da sind wir wieder bei der Elektronik. Sie bietet in dieser Beziehung völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten. Deshalb habe ich schon vor fünfzehn Jahren gesagt, daß für mich auch ein Mischpult ein Musikinstrument ist. Oder hör dir mal das Gewitter auf Irrlicht an. Da hab' ich eine ausgebaute Hammond-Hallspirale als eigenständiges Instrument benutzt, die habe ich so von oben gezupft.

F: Bei den Klängen, die dabei entstehen, kann man mit Noten sicher nichts anfangen. Eine Frage noch zu Irrlicht: Was ist unter den "E-Maschinen" zu verstehen, die im Untertitel des Werks genannt werden?

KS: Der Edgar Froese hat mich mal gefragt, ob da wohl auch Kaffeemaschinen, ein Kühlschrank und sowas dabei waren... Hätte ich natürlich auch nehmen können, aber im Grunde genommen meinte ich mit E-Maschinen die ganzen Sachen, wie eben die Hallspirale, Mikrofone, einen kleinen Echomixer und meinen Fender-Gitarrenverstärker. Den hatte ich ans Mischpult angeschlossen, bin aber mit dem Output vom Verstärker gleich wieder zurück in einen Mikrokanal vom selben Pult gegangen. Wenn du aufdrehtest, fing das Ding natürlich tierisch an zu pfeifen: eine Rückkoppelung, ist ja klar. Wenn du dann am Fender den "Tremolo"-Knopf gedreht hast, fing es an zu modulieren. So sind die ganzen Zwitscher-Sounds gemacht, für die ich später den VCS-3 von EMS hatte. Ich habe echt gerade die Platte geschafft, da war das Ding auch schon kaputt. Ja, und dann hatte ich natürlich meine Teisco-Orgel, da gab's damals schon so ein Pitch-Rad. Außerdem hatte ich sie aufgemacht und an den Oszillatoren ein paar Kabel umgesteckt, einfach so... Ich habe keine Ahnung von Technik, aber es klang auf einmal ganz anders. Das fand ich gut.

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