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...Live...

Klaus Schulze: ...Live...
Heard Again

»Als dieses Werk aufgenommen wurde, stand ich kurz vor meinem elften Geburtstag. Daher bin ich kein Augenzeuge. Aber wer sich mit seinen Ohren und dem Wissen über die benutzten elektronischen Instrumente auf diese Musik einlässt, und sich in Ruhe und ohne Ablenkung auf sein Sofa setzt, bei dem beginnt ein Film vor den Augen. Das Konzert beginnt.

Die Situation war vermutlich so: Klaus saß auf einem Teppich vor den direkt auf dem Boden aufgebauten Instrumenten. Der Anblick wurde von seinem Moog-Modularsystem III p mit der Sequenzer-Erweiterung dominiert, zusammen ein aus vier Kästen bestehendes Monstrum in der Gesamtgröße einer Anrichte. Davor standen der Minimoog und eine Tastatur für den großen Moog. Links und rechts standen dann die andern Synthies: wie der EMS A, der ARP 2600 und der ARP Odyssey (in weiß), ein Micro Moog, das Mischpult und zwei Revox A77 Tonbandmaschinen. Ein Tonband mit vorbereiteten Klängen und Tönen zur Begleiung und Unterstützung; eins als Bandechogerät.

Mit einem Mellotron-Chor und den Wasser- und Donnergeräuschen beginnt dieses Werk. Man glaubt zuerst der Titel Mindphaser vom April 1976 würde nun beginnen. Dieser Chor und diese Geräusche kommen wie so oft bei Klaus Schulzes Konzerten von einem vorher eigends dafür hergestellten Background- Tonband. Man konnte damals schließlich noch nicht wie heute sampeln oder einen Midi-Sequenzer benutzen. Die Synthies hatten auch keine programmierbaren Speicherplätze. Nach etwa dreieinhalb Minuten düsterer Atmosphäre startet jedoch eine schnelle, hell klingende und auf- und abschwellene Sequenzerlinie. Die Stimmung verdichtet sich. Eine Melodie in Moll spielt über der düsteren Atmosphäre aus tiefen Tönen. Noch immer schwillt die eine Sequenzerlinie auf und ab. Ein celloähnlicher Klang übernimmt die Melodie. Immer wieder kommen Fetzen vom Mellotron-Chor hervor. Ein Donnergrollen kommt auf und kündigt eine Veränderung an. Nach 11 Minuten Intro beginnt nun das eigentliche Stück (hier beginnt auch der halbstündige Ausschnitt auf der LP). Eine Analogsequenzer-Spur mit vier Schritten des Moog Modular Synthesizers startet und wird durch das addieren von mehreren Oszillatoren immer kräftiger. Harald Großkopf beginnt zuerst auf den Toms zu diesen Viertelnoten zu spielen. Gefühlvoll verdichtet er diese mechanischen, repetitive Sequenz zu einem organisch klingenden Etwas. Nun kommt eine zweite Sequenzerspur dazu. Diese ist in der Tonhöhe um Oktaven höher und ist viermal so schnell. Entsprechend reagiert Harald auf diese Neuerung.

Er spielt auf den Ride- und Crashbecken. In der 14. Minute wird zum ersten Mal der Grundton transponiert. Ein Basston kommt dazu und begleitet uns von nun an eine lange Zeit. Die Sequenzen werden hoch und runter transponiert. Harald gibt mit synkopierten Schlägen auf die Snare dem ganzen einen Drive. Jetzt ist man voll in der Trance eines solchen Meisterwerkes der sogenannten Berliner Schule der Elektronischen Musik. Hunderte von Sequenzer-Wiederholungen verschwimmen zu einem Ganzen aus Sound und Rhythmus.

18:15 = Klaus beginnt mit einem der Minimoog-Soli die für ihn so typisch sind. Die Tonfolgen sind nicht vergleichbar mit denen normaler Melodien oder E-Gitarrensoli. Und dann dieser Sound vom Minimoog! Es gibt wohl kein Synthesizer über dessen Sound mehr geschrieben wurde. Kräftiger Klang. Tiefste, sonore Bässe. Einzigartiger Klang und intuitive Bedienung. Klaus steigert sich voll rein. Er spielt immer schneller. Macht eine Pause von wenigen Sekunden und beginnt wieder langsamer. Diesmal in weit gespannten langsamen Melodienbögen. Durch eine lange Release-Zeit werden die einzelnen Noten ganz und gar legato wahrgenommen. Das Manko, wie ein Blasinstrument nur einstimmig spielbar zu sein, wird zum Vorteil. Auf einem mehrstimmigen Instrument wäre so etwas unmöglich so zu spielen.

Plötzlich nach 26:00 greift Klaus in die Sequenzerlinien ein. Er legt ein übertriebenes Vibrato auf die Töne. Ein Ringmodulator-Ton mit einem glocken-artigen, schrägen Klang kündigt eine musikalische Apokalypse an. Die Sequenzer gluckern nur noch. Klaus zieht einzelne Töne aus dem Mixer raus. Er dünnt die Sequenzer aus und lässt sie ohne Vibrato und mit einem hellen dünnen Klang weiter laufen.

Harald hat noch dieser Klimax etwas pausiert. Mit leisen Ride-Becken steigt er wieder ein. Streicherähnliche Akkorde werden lange stehen gelassen und prägen ein liebliches Bild. Die Stimmung ist glücklich und ruhig wie nach einem lustvollen Höhepunkt. Einer seiner Minimoogs spielt eine leise, sich nicht wieder-holende Melodie. Die ganze Musik ist nun eher linear aufgebaut. Es wiederholen sich keine Abschnitte oder Melodien. Nur der Sequenzer gibt einen monotonen (hier ist das ein positiver Ausdruck!) Melodie- und Rhythmusteppich. Wieder werden die Sequenzer und ein Basston transponiert. Man ist in einer ähnlichen Stimmung wie schon vor dem ersten Minimoog-Solo. Und wieder beginnt der Minimoog unter den Händen von Klaus zu leben. Diesmal schneller und in kurzen Tönen. Harald spielt Rimshots auf der Snare in Synkopen. Die Sequenzer versetzen den sich in die Musik fallengelassenen Zuhörer in einen Zustand zwischen Traum und Trance. Die Sequenzer werden ganz langsam von Klaus im Mixer fast ganz runtergezogen. Harald hat sich unmerklich aus dem Geschehen verabschiedet. Es ist nur noch der Minimoog übrig geblieben. Eine Stimmung mit Tiefe entsteht. Hier endet in der 42 Minute die LP. Es ist jetzt ganz ruhig, als hohe leise Töne die Mindphaser Stimmung wieder aufwecken lassen. Wenn da noch der Orgelsound wäre...

Doch nun beginnt stattdessen wieder die auf- und abschwellende hohe Sequenzerlinie vom Anfang. Man sieht vor seinem Auge als Freund dieser Musik und deren Instrument förmlich die kleinen Lichter des Sequenzers schnell von links nach recht huschen. Das Bandecho von den Revoxmaschinen verdichtet das ganze. Dieser Zustand schwebt als Outro bis zum Ende in der 50ten Minute dahin. Zeit ist aber bei dieser Musik kein Faktor. Die langen Spannungsbögen und die Stimmungen lassen einen alles vergessen. Bilder steigen im Kopf auf. Farben.

Leises Klatschen bringt einen dazu, die vor einer dreiviertel Stunde geschlossenen Augen wieder zu öffnen. Man ist wieder in der Wirklichkeit gelandet.«
(Till Kopper, from The KS Circle no. 83, June 2003)

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